Die Sorben sind (k)ein Thema

Es ist Festivalwoche in Cottbus. Das Wetter ist wenig gemütlich und die dunklen Wolken hängen tief. Glücklicherweise sind die Wege vom Festivalzentrum bzw. zu den vielen Kinosälen der Stadt kurz und die Programme viel zu spannend und dicht gepackt, um anderweitig zu verweilen. „Rendezvous for Eastern and Central European“ nennt Cineuropa das familiäre Festival nahe der polnischen Grenze. Ich gehöre zu den Neulingen. Habe das Festival bislang nur aus der Ferne wahrgenommen.

Mich reizen die Festivalsektionen „Polskie Horyzonty”, die aktuelle Künstlerreflexionen über Polen zeigt und „Heimat | Domownja | Domizna“, die sich unter anderem dem Filmschaffen in der Lausitz widmet. Danach will ich Cosima Stracke-Nawka treffen, einer der Köpfe des „Netzwerk Lausitzer Filmschaffender“, deren Stammtisch heute Abend noch stattfindet.

In Vorbereitung auf unser Gespräch habe ich von ihr bereits einen groben Abriss ihrer Gedanken und Lebensstationen erhalten. Rotmarkiert und drei Mal umkringelt beschäftigt mich dabei eine Aussage ganz besonders – die über eine „sorbische Identität“. Später werde ich sie danach fragen; ganz unverhofft, zwischen zwei Filmprogrammen in der Kinolobby des Glad-House. Dort treffe ich sie gemeinsam mit dem Schriftsteller Jurij Koch. Ohne Nachfrage erfahre ich, dass Jürgen Brauer auf Grundlage seines Romans „Augenoperation“ 1990 „Tanz auf der Kippe“ drehte, einer der letzten DEFA-Spielfilme. Koch schrieb das Drehbuch. 27 Jahre ist das her.

„Es ist ja nicht so, dass es seitdem keine Filme über Sorben oder von Sorben gibt.“, lässt mich Cosima wissen. „Es ist auch nicht so, dass gar keine neuen Filme entstehen. Aber es gibt seit Jahrzehnten, mit den Ausnahmen „Struga“, „Rublak“ und „Der Kirschbaum“ – übrigens alles Filme, die im Kern den Verlust der Heimat thematisieren, weil die der Braunkohle zum Opfer fällt – keinen aktuellen Kinofilm.“ Der Start in unser Gespräch ist emotional kein einfacher: Koch ist ihr seit Jahren vertraut, die Thematik um ihre kulturelle Heimat eine Herzensangelegenheit.

„Die Sorben bemühen sich mit Hilfe der Stiftung für das sorbische Volk [Anm. d. Red.: Bei einem Jahresetat von etwa 18,5 Mio. Euro] ihr kulturelles Leben am Leben zu halten. Die Hochkultur, ebenso wie das Laienschaffen. Aber auch Sprachschulen und Kindergärten, ein Verlag, zwei Museen, das Theater, ein Nationalensemble sowie Verwaltung und Administration müssen damit subventioniert werden. Weiß man um diesen Umstand, wird schnell klar, dass die Stiftung nie komplett einen Kinofilm finanzieren kann.“

Es gibt wenige Produktionsfirmen in der Lausitz. Ein Fakt, den Cosima als zuständige Referentin für die ergänzende kulturelle Filmförderung bei der SLM seit Jahren nur zu gut kennt. „Aber es kommen auch keine sorbischen Stoffe vor, die gestandene Filmemacher aufgreifen. Das muss sich ändern.“ Mit der Gründung des „Netzwerk Lausitzer Filmschaffender“ scheint vor zwei Jahren ein wegweisender Schritt gegangen worden zu sein. Auch wenn ursprünglich nur zu einem Panel zur Situation des Filmschaffens in der Lausitz eingeladen worden war, das im Rahmen der Sektion Domownja/Heimat auf dem Cottbuser Filmfestival stattfand. Am Ende saßen rund 30 Kolleginnen und Kollegen zusammen und gründeten spontan das Netzwerk.

Was ist seitdem passiert? Seit 2015 wird viel über Film gesprochen, die Sorbischen Zeitungen berichten mehr und das Thema ist auch bei der Stiftung für das sorbische Volk angekommen, erfahre ich von Cosima. „Ein Verdienst der Mitarbeiterinnen der Stiftung für das sorbische Volk, Sylke Laubenstein-Polenz und Sabine Sieg“, aber auch die Filmemacher Erik Schiesko und Reiner Nagel sind „Motoren aus der Lausitzer Filmszene“, die inzwischen eigene Projekte realisierten und andere dazu ermutigen, Projekte im Rahmen der Netzwerktreffen zu pitchen.

Es klingt fast wie eine Kampfansage, die Oberund die Niederlausitz filmwirtschaftlich und künstlerisch fit zu machen. Gemeinsam mit Grit Lemke und Ola Staszel will die studierte Dramaturgin die nächsten Jahre konzentriert Talente coachen, Partner finden, Distributionswege erschließen und internationale Produzenten und Regisseure auf die hiesigen Geschichten aufmerksam machen! „Für die Mitglieder des Netzwerkes, als Teil der sächsischen und brandenburgischen Filmlandschaft, wird noch jede
Menge Unterstützung gebraucht.“

Aktuell unterstützt man Reiner Nagel dabei, seinen ersten Spielfilm zu realisieren. Außerdem wird die Möglichkeit geprüft, kleinere Produktionen sorbischer Filmemacher auf dem Berliner Festival in der Filmreihe „NATIVe – A Journey into Indigenous Cinema“ unterzubringen. „Und es wäre schön“, ergänzt Cosima, „wenn sich das Cottbuser Festival und auch das Neiße Filmfestival zu Orten entwickeln würden, an denen in- und ausländische Filmemacher, Regisseure und Produzenten den Geschichten der Sorben begegnen können.“

Meine Frage nach der sorbischen Identität bleibt an diesem Abend unbeantwortet. Immerhin hat die Bundesrepublik hinsichtlich der Anforderungen an eine sorbische Identität unlängst festgehalten, dass ihre wesentlichen Bestandteile „eigene Sprache, Kultur und Geschichte“ sei und außerdem ein „Bezug zu einem traditionellen Siedlungsgebiet“ bestehe.

Am Ende unseres Gesprächs wird Cosimas Stimme ruhiger und lässt mich wissen, dass es eminent wichtig sei, dass sich die Lausitzer Künstler auch selbst bewegen und sich an anderen messen lassen, um daran zu wachsen. „Und das im vollen Bewusstsein Sorbe zu sein! Ich kann nur mithelfen die Rahmenbedingungen zu ändern, aber das sehr gern!

Netzwerk Lauzitzer Filmschaffender