Text: Lars Tunçay, Tobias Prüwer
Seit vielen Jahren träumt die Cinémathèque Leipzig vom eigenen Haus. Die »friedliche Koexistenz« in der Kulturkneipe NaTo ist seit jeher alles andere als optimal, der Spielraum im Interim der Karl-Liebknecht-Straße 109 äußerst beschränkt. Der Gestaltungswille ist groß, die Möglichkeiten sind eingeschränkt. Trotz vieler Rückschläge trieben die Protagonisten der Cinémathèque das Vorhaben voran, ein interdisziplinäre Zentrum für Filmkunst und Medienbildung zu schaffen. Fördermittel vom Bund in Höhe von 21 Millionen Euro wurden gebilligt. Mehrer Stadtratsbeschlüsse bekräftigten das Unterfangen. Nach 13 Jahren beharrlicher Planung ist das Projekt in seiner ursprünglichen Planung gescheitert. Wie konnte es soweit kommen?
Die Enttäuschung sitzt tief beim Team der Cinémathèque. Auf dem Boden verstreut liegen verschiedene Machbarkeitsstudien des Filmkunsthauses. »Die Nachricht kam für uns vor einigen Wochen überraschend«, sagt Sven Röder. »Wir haben bis zuletzt am Ziel festgehalten, waren zuversichtlich mit dem Standort Kohlrabi-Zirkus.« Seit einem guten halben Jahr habe das Team im Austausch mit der Stadt und mit der LEVG gestanden, um die Planung zum Abschluss zu bringen.
Sie mussten sich um einen vierten Standort kümmern, weil die Stadt Leipzig die Ankaufsverhandlungen im Löwitzquartier abgebrochen hatte. Dort hätte es nach den gescheiterten Standorten Skala und Feinkost entstehen sollen. Nun mussten Ende 2024 neue Räumlichkeiten gefunden werden, damit die nur bis 2026 vom Bund bereitgestellten Fördergelder noch abgerufen werden können. In diesem engen Zeithorizont hätten sie den Kohlrabizirkus realistisch entwickelt.
Daher war es trotz der städtischen Haushaltslage überraschend, dass das Projekt von Stadtseite nicht weiterverfolgt wird. »Wir erleben einen Schockzustand, auch vor dem Hintergrund der Stadtratsbeschlüsse im vergangenen Jahr«, sagt Röder. »Am 20. Juni 2024 wurde im Stadtrat beschlossen, acht Millionen Euro für das Filmkunsthaus festzuschreiben. Das war der letzte Stadtratsbeschluss, das war für uns nochmal ein riesengroßer Schritt.« Die jetzige Entscheidung haben sie nicht beeinflussen können. In der Dienstberatung des Oberbürgermeisters sollte eine Beschlussvorlage für den Stadtrat vorbereitet werden, der die Planungskosten betraf. Also der Antrag auf Abruf der Mittel. Diese Beschlussvorlage wurde in der Dienstberatung nicht bestätigt. Das Team der Cinémathèque erfuhr dies in einer E-Mail von den zwei Kulturamtmitarbeitern, die das Projekt lange begleitet haben. »Es war einfach nur eine Feststellung der Tatsache, dass es das Aus ist und unter anderem das Kulturamt vom Oberbürgermeister von der Pflicht enthoben wurde, weiter nach Standorten zu suchen«, erklärt Angela Seidel, die das Projekt 13 Jahre lang betreut hatte.
Von der Stadt wurden zwei Gründe genannt. Der erste ist die aktuelle Haushaltssituation. Allerdings hätten diese Planungskosten aus dem städtischen Eigenanteil für das Gesamtbudget »Internationale Festivallandschaft Leipzig« des Bundes kommen sollen. Das zweite Argument war der Entwicklungshorizont. Das Filmkunsthaus habe keine städtische Priorität, heißt es. Ein Protokoll aus der Dienstberatung des OBM hat die Cinémathèque auch auf Anfrage nicht erhalten. Dieses sei nicht zugänglich, heißt es. Die Gesamtsituation ist frustrierend. »In dem Moment, als die Feinkost gescheitert ist, wurde uns die Selbstgestaltung in diesem Prozess aus der Hand genommen«, sagt Seidel. »Wir sind nicht Teil eines Entscheidungsprozesses, was wir bis dahin waren. Und wären wir in dieser Rolle nicht verantwortungsvoll gewesen, gäbe es diese 21 Millionen nicht.«
Nachdem das Filmkunsthaus nicht in der Feinkost realisiert werden konnte, wurde das Budget auf weitere Projekte verteilt. Diese Teilabrufe für die Schaubühne Lindenfels und für das Haus der Festivals sind 2024 gestellt worden und können wohl fristgerecht abgerufen werden. Die Cinémathèque schaut derweil in die Röhre, weil die Anträge aufgrund der ungeklärten Standortfrage nicht gestellt werden konnten.
Will die Stadt überhaupt noch ein Filmkunsthaus für diese Stadt und Region? Auf Anfrage teilte Kulturamtsleiter Tobias Kobe mit: »Trotz intensiver gemeinsamer Bemühungen ist es leider nicht gelungen, einen geeigneten Standort unter den nun aktuellen Rahmenbedingungen für das Filmkunsthaus zu finden. Das Kulturamt steht dem Träger weiterhin beratend zur Seite beziehungsweise befindet sich im engen Austausch.« Das Team der Cinémathèque hält trotz aller Rückschläge an ihrem Traum vom eigenen Haus fest.
»An diesem Film- und Medienstandort, wie Leipzig gerne genannt wird, findet in der Freien Szene kaum etwas statt, was den Filmbereich angeht«, sagt Seidel. Es gebe nicht einmal einen eigenen Fördertopf für Film.
»Wir betreten eine neue Ära, fürchte ich, in der Kulturpolitik oder in der Politik generell, die natürlich mit der finanziellen Krise verbunden ist. Ich fürchte, dass es in der nahen Zukunft vielleicht nicht mehr zur Frage steht, wie macht man Kultur oder bestimmte Kulturprojekte, sondern ob man sie macht.« Früher sei solch eine Fragestellung unvorstellbar gewesen. »Ich glaube, wir sind jetzt fast in der neuen Ära, in der diese Frage in die Mitte rückt: Braucht man die Räume, braucht man wirklich diese Kultur, braucht man diese neuen Projekte, braucht man Demokratieentwicklung und so weiter und so fort. Und ich glaube, das ist etwas, womit wir gefühlt so zurechtkommen müssen oder einfach dagegen sehr laut schreien. Nicht nur wir als Demokratie, sondern wir als Kulturschaffende.« Dem Filmkunsthaus kann die Stadt den Stecker ziehen, dem Engagement der Cinémathèque offenbar nicht.
Die November-Ausgabe des Leipziger Stadtmagazins kreuzer widmet sich ausführlich den gescheiterten Bauprojekten in Leipzig.