1993 gründete der studierte Trickfilmzeichner Ralf Kukula die Balance Film GmbH. Seit über 20 Jahren widmet sich die Dresdner Produktionsfirma vor allem der Animation, darunter vieler Kinder- und Jugendfilme. Ein Gespräch mit Nadine Faust über Herausforderungen und den Dank dafür.
Was bedeuten Kinder- und Jugendfilme Ihnen persönlich?
Es ist interessant, für ein Kinderpublikum zu produzieren und die Reaktionen im Kino mitzuerleben. Kinder sind zwar in ihrer Art der Beurteilung ziemlich direkt, denn sie versuchen nicht, sich diplomatisch zu äußern, wenn sie Kritik üben. Aber ich weiß immer, woran ich bin. Auf der anderen Seite ist es unglaublich beglückend, wenn ich ein Publikum habe, das total mit einem Film mitgeht. Da wird klar aufgezeigt, welche Verantwortung ich habe, wenn ich Geschichten für Kinder erzähle. Die rezipieren anders als Erwachsene. Was für uns Fiktion ist, ist für sie real. Sie erleben die Konflikte im Film wirklich. Je kleiner die Kinder sind, desto verantwortungsbewusster muss ich damit umgehen. Die Probleme, die wir in der Erwachsenenwelt haben, so zu adaptieren, dass ich sie Kindern erzählen kann, das macht Balance Film aus. Wir haben immer ein inhaltliches Anliegen. Es geht nicht nur um Unterhaltung und Spannung, sondern auch darum, etwas zu vermitteln. Dafür ist „Fritzi“ das Paradebeispiel. Bei Kindern gibt es ja verschiedene Zielgruppen: Pre-School, Grundschüler, Mittel- und Oberschule. Die haben alle andere Interessen und Erfahrungshorizonte. Deswegen ist die Zielgruppe relativ klein. Wenn wir jedoch einen Film wie „Fritzi“ machen, der so vielschichtig ist, spricht der in der Kernzielgruppe die Zehn- bis Zwölfjährigen an. Den gucken sich auch Grundschüler an, die sehen aber einen anderen Film – in erster Linie zwei Mädchen, die sich trennen, und das eine überlässt dem anderen seinen Hund. Das sind Dinge, an die Kinder andocken, wo sie mitfühlen und mitleiden. Das ist für sie essenziell und existenziell.
Was macht einen guten Kinder- und Jugendfilm für Sie aus?
Das ist ein Film, der nicht nur handwerklich gut ist und unterhalten will, sondern auch eine Botschaft mit sich bringt. Wir möchten bei Themen, die nicht so leichtgängig sind, zudem die Eltern begeistern, denn die sind unsere Multiplikatoren. Erwachsene sollen sich unterhalten fühlen, wenn sie mit ihren Kindern Filme anschauen. Wenn das gelingt, haben wir viel erreicht.
Sie haben zu DDR-Zeiten im DEFA-Studio für Trickfilme in Dresden gearbeitet. Welche Stellung hat der Kinder- und Jugendfilm damals eingenommen?
Ich habe in einem schmalen Segment gearbeitet, in dem ich keinen Einblick in das gesamte Filmschaffen der DDR hatte. Ich war Animator, am Anfang Assistent im DEFA-Studio für Trickfilme und dort in der Abteilung für Zeichentrickfilmproduktion. Ich habe damals gar nicht so viele Kinderfilme gemacht, sondern in erster Linie Kurzanimationsfilme für Erwachsene – fürs Sammelprogramm im Kino. Ich glaube aber, in der DDR hatte – wahrscheinlich eher der Real- als der Animationsfilm – ein handwerklich guter und thematisch ansprechender Kinderfilm einen großen Stellenwert. Da ist gefühlt die Wertschätzung größer gewesen als heute.
Wie hat sich die Lage seitdem verändert? Was läuft in Deutschland gut in Sachen Kinder- und Jugendfilm, woran sollte gearbeitet werden?
Heute sitzen die Kinderfilme am Katzentisch, wenn es darum geht, wie Förder- oder vor allem Sendermittel verteilt werden. Die Sender geben im Schnitt ein Prozent ihres Budgets für den Kinderfilmbereich aus. Das ist eine Zielgruppe, die ungefähr 11 bis 13 Prozent ausmacht. Da gibt es eine große Disproportion zwischen den eingesetzten Mitteln und der Zielgruppe. Das zeigt unser Dilemma und dass die Wertschätzung für diesen Bereich zu gering ist. Das rächt sich später, denn ich muss die Zielgruppen auch erziehen. Das ist in anderen Ländern in Skandinavien, den Benelux-Staaten oder in Frankreich anders. Da hat Kinderfilm einen anderen Stellenwert. Das ist ein echtes Problem für uns als Produzenten: wenn wir versuchen, Sendeplätze zu bekommen; wenn wir versuchen, angemessene Budgets zu akquirieren.
Wie sieht es konkret mit Fördermöglichkeiten und der Bereitschaft dazu aus? Wie schwierig ist es, an die nötigen Gelder zu kommen?
Im Bereich der Finanzierung gibt es generell drei Sorgenkinder: den Kurzfilm, den Animationsfilm und den Kinderfilm. Das wird noch mal einen Zacken schärfer, wenn ich einen Kinderfilm im Bereich Arthouse mache. Richtig schwer wird es bei den recht hohen Budgets für Animation. Selbst Animation für Erwachsene ist ein Problem, denn dafür gibt es bei den TV-Sendern kaum Ansprechpartner in Deutschland. Animation wird als Spielwiese für Kinder betrachtet. Das ist eine völlig falsche Sichtweise und hat auch damit etwas zu tun, dass Film an sich und Animations- und Kinderfilm insbesondere nicht der Hochkultur zugerechnet wird, wie es zum Beispiel in Frankreich der Fall ist. Gerade wenn wir innerhalb von Haushaltsverhandlungen mit Politikern reden und es um die Aufteilung von Budgets im Bereich Kunst und Kultur geht, hat die sogenannte Hochkultur erst mal Vorrang. Das Seh- und Nutzungsverhalten im Bereich der Kultur ist zwar ein Argument, das für uns spricht. Das schlägt sich aber nicht in der Aufteilung von Budgets nieder. Bei der Mitteldeutschen Medienförderung geht es zwar sehr stark danach, was es für Produzenten vor Ort gibt und wie sie gemeinsam mit ihnen die Region weiterentwickeln kann. Wenn Kinderfilm da reinpasst, dann liegt es an uns, ein gutes Projekt in diesem Bereich anzubieten – und dann haben wir auch gute Förderchancen. Der Animations- und Kinderfilm hat es zumindest da nicht unglaublich schwer. Aber wenn du eine Förderung haben willst, brauchst du Partner, die die Verwertung des Films oder der Serie garantieren. Dazu gehören die Sender, in zunehmendem Maße auch Streamingdienste. Die zu überzeugen ist schwieriger. Die sind weniger der Region verpflichtet und denken auch weniger strukturell. Die Verwertungspartner schauen darauf, dass sie Erlöse erzielen. Das ist beim Kinderfilm schwer, denn wenn ich eine einzelne Gruppe rausnehme, ist die Zielgruppe zur Refinanzierung des Projektes zu klein. Du musst dann Projekte finden, die international vermarktet werden können. Bei „Fritzi“ hatten wir das Glück, dass wir ein mitteldeutsches Thema besetzt haben, das überregionale Bedeutung besitzt.
Welche Rolle spielen internationale Koproduktionen?
„Fritzi“ war das erste große Animationsprojekt, das wir federführend gestemmt haben. Wir konnten den Film nur ausfinanzieren, indem wir ausländische Partner ins Boot geholt haben. Wir hatten mit dem Thema kein Problem, in Tschechien, Luxemburg und Belgien Partner zu finden. Obwohl du denken könntest, das sei ein originär deutsches Thema. Doch das Thema Trennung ist überall dort aktuell, wo Mauern errichtet werden. Wir haben diese Produktion bewältigt, ohne dass wir dabei wirtschaftlich über die Klinge gesprungen sind. Das war sehr anstrengend, aber wir haben es geschafft und der Film ist international anerkannt. Es ist wichtig, dass Geldgeber, Förderer, Koproduktionspartner und Verleiher vom Publikum, der Fachpresse und von Kollegen ein entsprechendes Feedback erhalten. Dass das bei diesem Film durchgängig positiv war, ist eine sehr beglückende Erfahrung.
Wie wichtig ist ein eingespieltes Team am eigenen Standort?
Ich habe eine Mannschaft, die ich zusammenhalten möchte. Ich sehe, dass wir in der Region ein Motor sind und auch dafür Sorge tragen, dass wir jungen Talenten die Möglichkeit geben, im Berufsleben Fuß zu fassen. Die Nachfrage, mit einem Job oder Praktikum bei uns einzusteigen, ist viel höher als unsere Kapazitäten. Das finde ich sehr bedauerlich. Aber ich kann die Interessenten nur dann sinnvoll beschäftigen oder ihnen einen Berufsstart ermöglichen, wenn ich eine entsprechende Anzahl an Projekten umsetzen kann. Die großen Schlagworte sind Beschäftigungskontinuität und Fachkräftemangel. Letzterem kann ich signifikant begegnen, indem ich den Leuten Perspektiven biete, mich verantwortlich fühle. Wir begreifen das als echte Herausforderung. Das ist mit „Fritzi“ gelungen, indem wir die dazugehörige Serie als Folgeprojekt akquirieren konnten. Das ist eine wichtige und positive Botschaft. Wir sind auch in einer Region, in der wir Graswurzelarbeit leisten, indem wir versuchen, Kreative mit bestimmten Fähigkeiten hierher zu holen, hier auszubilden und dann zu halten. Stichwort: Regionaleffekte. Im Animationsbereich sind wir da ein ganzes Stück vorangekommen. Da gibt es mittlerweile eine gewisse Sensibilität und im Koalitionsvertrag wird Animation als Schwerpunkt für Sachsen erwähnt. Es gibt aber noch nicht solch eine vitale Szene, wie ich sie mir wünsche – mit vielen Produzenten, die in der Lage sind, eine Magnetwirkung zu erzeugen. Das hinzubekommen, setzt voraus, dass die Partner, mit denen wir Projekte entwickeln und produzieren wollen, dasselbe Denken haben – weg vom Projekt hin zu Strukturen.
Es gibt andere Regionen mit dem Schwerpunkt Animation. Am bekanntesten ist Baden-Württemberg. Die Filmakademie in Ludwigsburg und die Region haben in den vergangenen Jahren eine Entwicklung durchlaufen, die in Deutschland Beispielwirkung hat. Anders ist das in Potsdam und Berlin. Es gibt eine Filmuniversität mit einer Animationsfilmausbildung in Babelsberg und Absolventen, die es schwerhaben, weil es vor Ort keine Filmförderung gibt, die etwas mit Animationsfilm am Hut hat. Das sind föderale Disharmonien, die ein zentral gesteuertes Land wie Frankreich nicht kennt. Da fließen zwar auch nicht Milch und Honig, aber trotzdem gibt es Rahmenbedingungen in der Ausbildung, der Produktion, der Finanzierung, von denen wir hier in Deutschland träumen.
Gibt es spezielle Herausforderungen beziehungsweise fehlende Strukturen in Sachsen?
Wir denken verstärkt in Regionen, aber ein Film ist generell nie allein in einer Region finanzierbar. Wir kämpfen bei den Förderern darum, dass wir zumindest beim Animations- und Kinderfilm nicht mehr über Regionaleffekte diskutieren müssen, sondern dass wir die Teams in erster Linie nach Qualifikationen zusammenstellen können. Das hat was mit internationaler Konkurrenzfähigkeit zu tun. Aber wenn ich Geld beispielsweise in Mitteldeutschland generieren will, muss ich ein Team zusammenstellen, das die bestmöglichen Regionaleffekte garantiert. Das sind Forderungen aus der Politik. Politiker sagen: Die Steuergelder kommen aus der Region, die sollen hier auch wieder ausgegeben werden. Das ist nicht grundsätzlich falsch, aber eigentlich eine branchenfremde Forderung. Der Föderalismusgedanke ist für eine Filmproduktion, die nur national oder international zu stemmen ist, ein Problem. Und habe ich in Mitteldeutschland eine Förderung bekommen, bin ich natürlich an die Region gebunden. Ich muss Prozentsatz X in Sachsen, Y in Sachsen-Anhalt und Z in Thüringen ausgeben. Diesen Schlüssel muss ich vorher definieren und von dem darf ich nicht abweichen. Da kommen bei der Besetzung des Teams Kompromisse zustande, die mitunter schlecht sind für den Film. Wir haben hier auch keine breit aufgestellte, vitale Kinder- und Animationsfilmszene. Das hat etwas damit zu tun, dass wir über 30 Jahre nach der Wende noch immer keine vitale Produzenten- und Freelancerlandschaft haben. Wenn es die Möglichkeit gebe, hier ein gutes Aus- und Einkommen zu haben, würde es diese Szene geben, aber die Vergütungen in unserem Bereich sind deutlich niedriger. Und wenn ich Realfilm für Erwachsene mache, wird das in der Regel besser bezahlt als beim Kinderfilm. Das merken wir auch deutschlandweit bei den Preisgeldern. Kinderfilm wird regelmäßig niedriger eingestuft und wir erhalten dadurch weniger Entwicklungsgelder für Kinder- als für Erwachsenenprojekte. Ist der Kinderfilm weniger wert? Kostet der weniger? Macht es weniger Aufwand? Wir reden immer von Verantwortung gegenüber den Kindern, aber warum schlägt sich das dort nicht nieder?
Ist es in Sachsen besonders für Kinder- und Jugendfilme schwierig, eine Produktionsfirma zu finden? Muss man seine eigene Produktionsfirma gründen, um hier produzieren zu können?
Dass es Balance Film gibt, ist genau der Grund. Ich habe eine Produktionsfirma gegründet, obwohl ich eigentlich nicht in die Produktion gehen wollte. Aber ich wollte in der Region bleiben und hier vor Ort Projekte realisieren. Es ist gewiss nach wie vor schwierig, in unserer Region den passenden Produzenten zu finden, wenn du eine bestimmte Art von Produktion umsetzen willst.
Welche Rolle nimmt der Kinder- und Jugendfilm bei Balance Film ein? Welche Verantwortung haben Sie mit der Produktionsfirma?
Bei uns war in den vergangenen 20 Jahren der Animationsfilm prägend und da haben wir überwiegend Kinderanimationsprojekte gemacht, zum Beispiel fürs Sandmännchen. Parallel dazu haben wir relativ viele Kurzfilme produziert, die meisten davon auch für Kinder. Und dann kamen längere Projekte wie „Fritzi“ oder „Die Odyssee“ hinzu. Für Erwachsene haben wir im Bereich Animadok gearbeitet, etwa an „Chris the Swiss“, oder im Fiktionalen wie bei „Alois Nebel“. Der Erfolg, der sich bei Letzterem einstellte, war nur ein Erfolg im Ausland. Das hat leider nicht die Akquise bei Nachfolgeprojekten erleichtert. Zudem kommt es auf die Funktion innerhalb einer Koproduktion an. Bei „Alois Nebel“ waren wir kein Mainproducer wie bei „Fritzi“, sondern Dienstleister. Trotzdem war es für uns ein wichtiger Meilenstein, zumal wir uns viel Know-how erarbeitet haben.
Beim Schritt vom „Fritzi“-Kinofilm zur Serie wechselten wir auch die Technologie und lernen nunmehr eine ganze Menge hinzu, was uns für zukünftige Projekte extrem nutzen kann. Die Frage ist: Wie können wir die finanzieren? In der Animation bekommen wir in erster Linie die Projekte im Kinderfilmbereich bezahlt. Für Erwachsene gibt es einfach keine Ansprechpartner. Wir brauchen Verantwortliche in den Redaktionen der Sender, die das über ihre Kernkompetenz hinaus entscheiden können, denn die liegt in der Regel nicht in der Animation. Deswegen machen wir eher dokumentarische als fiktionale Projekte, denn das war bis jetzt die erfolgversprechendste Möglichkeit, in Deutschland Animation für Erwachsene zu machen. Die Frage bleibt: Was hat die meisten Chancen, realisiert zu werden? Und die sehe ich beim Animationsfilm bei Kinderprojekten. Ich denke, das bleibt auf absehbare Zeit auch so.
Was treibt Sie an, Filme für junge Menschen zu machen?
Filme fürs Kino zu machen, bringt natürlich den meisten Spaß. Beim Schulkinostart von „Fritzi“ in Berlin hatten wir 500 Kinder im Kino International. Nach der Vorstellung kamen ein paar obercoole türkische Jungs raus, unterhielten sich und einer gab zu, dass ihn der Film zu Tränen gerührt hatte. So von der eigenen Zielgruppe überrascht zu werden, ist eine wunderbare Erfahrung und macht stolz. Wir haben Ähnliches auch in Belgien bei der Weltpremiere erlebt. Belgische Kinder, die vermutlich nicht wissen, was in der DDR 1989 passiert ist, sprangen auf und gaben Standing Ovations, als im Film die Mauer fiel. Diese Wirkung persönlich miterleben zu können, ist toll. Ich glaube, diese Ehrlichkeit und Unmittelbarkeit in der Reaktion erleben wir vor allem beim Kinderfilm.
Nach welchen Kriterien suchen Sie Filme aus, die Sie produzieren möchten? Worauf legen Sie Wert bei Produktionen für junge Menschen?
Eine große Rolle spielt bei uns der Kinderbuchbereich. Originäre Stoffe, die keine vorbestehenden Werke wie Bücher haben, sind auch wichtig, aber statistisch gesehen basieren drei Viertel unserer Kinderprojekte auf literarischen Vorlagen. Wir versuchen auch, wenn wir auf vorbestehende Werke zurückgreifen, die grafische Handschrift aus diesen Büchern zu erhalten – deswegen sehen unsere Filme nicht gleich aus, wir haben keine wiedererkennbare Balance-Film-Handschrift. Es sind nicht nur die Geschichten, die uns ansprechen, sondern auch Grafiken und Illustrationen.
Welche neuen Projekte stehen bei Balance Film an?
Die „Fritzi“-Serie bindet uns bis 2024. Trotzdem müssen wir schon Ausschau halten, denn in der Animation gibt es sehr lange Vorläufe. Was wir jetzt planen und akquirieren, sind Projekte für 2024/25. Wir sind momentan in der Projektentwicklung für „Jana und der Seelenspiegel“, dafür haben wir auch eine Unterstützung von der Mitteldeutschen Medienförderung erhalten. Das ist ein Kinderfilm zum Thema Kindheit und Tod. Vielleicht ein bisschen vergleichbar mit „Alice im Wunderland“ von der Struktur und der bildlichen Opulenz her. Da geht ein kleines Mädchen auf die Reise, um den frühen Tod des Vaters zu verstehen und anzunehmen. Johannes Dreibach, ein Absolvent von der Filmuniversität Babelsberg, schreibt das Drehbuch. Ein klassisches Arthouseprojekt mit einem Thema, das schwierig klingt, aber meiner Meinung nach absolut notwendig ist. Und auf dieser Reise in die Zwischenwelt begegnen wir vielen bekannten Märchen- und Sagenfiguren. Das ist der kleine „Nebeneffekt“, den wir dabei erzielen: den Kindern zu zeigen, dass wir in Deutschland und Europa einen reichen Sagen- und Märchenschatz haben.
Wie schlagen sich die Veränderungen in unserer Gesellschaft auf Ihren Kinder- und Jugendfilm nieder?
Wir wollen, was politisch und gesellschaftlich relevant ist, in unseren Projekten spiegeln und wiederkehren lassen. Also nicht nur die reine Unterhaltungsschiene bedienen und beobachten, was die Filme und Themen, die wir behandeln, mit uns, unserem Leben und mit der aktuellen Situation zu tun haben. Wir haben bislang beim Animationsfilm immer den Nachteil, dass wir nicht so schnell reagieren können wie beim Realfilm. Wir haben entsprechend lange Vorläufe bei den Projekten. Aber andererseits ist es so: Die Probleme, die uns gerade umtreiben, haben oft eine lange Halbwertszeit. Die Klimakrise wird über Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte das bestimmende Thema sein. Andere Konflikte bis hin zu den Kriegen und Flüchtlingsströme resultieren daraus. Auch die „Fritzi“-Serie, die wir gerade produzieren, wird thematisch verbreitert – wir reichern das Format mit neuen Inhalten an, zum Beispiel die Flucht einer Mutter mit ihrer Tochter in den Westen. Wir versuchen, das so zu inszenieren, dass Kinder von heute verstehen, dass Menschen aus Deutschland vor reichlich 30 Jahren selbst Flüchtlinge und darauf angewiesen waren, dass andere Menschen ihnen halfen. Das sind für mich spannende Ansätze; das lohnt sich, filmisch zu bearbeiten. Diese Geschichten interessieren mich und ich möchte sie gern weitererzählen, denn sie haben eine Botschaft, ein Anliegen, das ich wichtig finde.
Wie bleiben Sie nah an den Bedürfnissen der Zielgruppe dran, die sich ja auch verändert?
Wir entwickeln uns mit den gesellschaftlichen Veränderungen mit. Trotzdem müssen wir die Fähigkeit behalten und trainieren, für andere Generationen mitzudenken. Input von der Zielgruppe zu erhalten, ist enorm wichtig. Immer nur von sich auszugehen, ist der falsche Weg. Abgesehen davon sind unsere Teams heterogen zusammengesetzt. Ich bekomme Input von Mitarbeitern, die eine oder mittlerweile schon zwei Generationen jünger sind, die andere Sichtweisen mitbringen oder auch die Prägung durch soziale Medien. Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass du eine Botschaft hast. Dass du universelle Werte vermittelst. Ich will, dass die jüngere Generation sich auch mit bestimmten Themen befasst, die ihnen nicht in den Schoß fallen. Das heißt, unsere Filme sind bis zu einem gewissen Grad anstrengend für Kinder. Den Mehrwert, den wir mit einem Projekt wie „Fritzi & Sophie“ als Serie bieten, kann nur abschöpfen, wer bereit ist, sich auf dieses Thema einzulassen. Kinder sind neugierig und interessieren sich mehr dafür, wo sie herkommen, als von Erwachsenen oftmals vermutet wird. Wir haben gemerkt, dass durch unseren Film viele Familien miteinander ins Gespräch gekommen sind. Dass die Kinder gefragt haben: „Was hast du 1989 gemacht?“ Filme sind wichtige Impulsgeber. Es geht nicht nur darum, etwas aufzugreifen, das in der Luft liegt, zu glauben, was die Zielgruppe interessiert, um sich ihr dann anzubiedern. Wir müssen bestimmte Themen auch setzen. Da ist es wichtig, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Dass wir an die Kinder etwas herantragen, das wir aus der Perspektive der Erwachsenen für wichtig halten. Die Frage ist: Wie nehmen Kinder das auf? Können wir ein auf den ersten Blick dröges, politisches Thema auch emotional erzählen? Das wurde uns vor dem Start von „Fritzi“ von den Entscheidern überhaupt nicht zugetraut. Dass wir solch ein Thema mit einem Animationsfilm für Kinder bewältigen können, dass das emotional wird und dass das auch mit Humor geht. Wir haben bewiesen, dass es funktioniert – nicht nur für Kinder. Ich bin froh, dass wir diese Chance hatten.
Das Interview führte Nadine Faust.