Mitgliederporträt Neue Celluloid Fabrik
„The filming took more than three years. The result is one of those rare films, that reach far beyond regular movie going experience. They grasp your heart and mind and never let you go. An intimate story with just a few characters, it emerges as a metaphor, which relates to thousands and millions.” (Die Times Israel über den Dokumentarfilm „Muhi – Generally temporary”.)
Als Jürgen Kleinig das Projekt „Muhi” und die Regisseurin Rina Castelnuovo-Hollander vor knapp viereinhalb Jahren kennenlernte, war er schnell davon überzeugt, den Film machen zu müssen. „Und wenn das dann noch in einem wirklich guten Film mündet, der Anerkennung findet und das Publikum wirklich tief drin berührt“
Jürgen Kleinig empfängt mich zu unserem Gespräch auf einer Büroetage, die er sich mit anderen Leipziger Filmproduzenten teilt. Mehrfach hat er seinen Hals in einen Schal gewickelt, da ihm eine langwierige Erkältung zu schaffen macht. Ohne Umschweife und Vorgeplänkel stürzen wir uns in unser einstündiges Interview über seine große Profession – der lange Dokumentarfilm.
Kleinig fällt es aktuell schwer, in eine positive Zukunft des langen Dokumentarfilms zu schauen. Eher skeptisch blickt der Produzent auf die letzten Jahre zurück und genauso skeptisch blickt er auf das, was wohl kommen mag. Trotz Erfolgen wie „10 Milliarden – wie werden wir alle satt?“, „Milch – ein Glaubenskrieg“, „Gut – besser – vegan?“, „Shalom Italia“ fängt man bei jedem Projekt bei Null an. Den sensationellen Festivalerfolg „Muhi“ musste er ohne Sender produzieren und ohne Verleih selbst in die Kinos bringen. „Im Prinzip ist das auch alles gut gelaufen“, erzählt Kleinig ruhig, „und die Verkäufe laufen auch gut an. Das ist aber eigentlich kein vernünftiger Weg. Hinzukommt, dass es immer schwieriger wird, überhaupt noch Filme über 90 Minuten bei Sendern unterzukriegen.“
Die Situation des Dokumentarfilms ist absurd. Es ist eine Tendenz der letzten fünf Jahre, die mir Kleinig aufzuzeigen versucht. Er schüttelt viel den Kopf, lacht zynisch und will doch daran glauben, dass die „Talsohle“ bald durchschritten sei. Lange kümmerte sich ARTE als Kulturkanal um verlorene Filmgattungen wie den Kurzfilm, und auch der lange, unformatierte Dokumentarfilm, das „grand format“, wurde übers Jahr – Woche für Woche – tatsächlich so etwas wie ein „Flaggschiff“. Jetzt ist der deutsch-französische Sender zum Appendix des öffentlich-rechtlichen Fernsehens Deutschlands geworden, und nur noch 8 „grand-format“-Sendeplätze sind übrig.
2008 gründete Kleinig die Alte Celluloid Fabrik Filmproduktion. Drei Jahre später kam Tina Leeb „an Bord“, mit der er nach zwei TV-Projekten den ersten gemeinsamen Kinodokumentarfilm „10 Milliarden – wie werden wir alle satt?“ von Valentin Thurn produzierte. Die beeindruckende Dokumentation über die Zukunft unserer Ernährung thematisiert den Verlust unserer Esskultur sowie die Landwirtschaft als Basis der Welternährung. Diese Koproduktion mit WDR und SWR war, auch dank der finanziellen Unterstützung u. a. durch die heimische Mitteldeutsche Medienförderung, Dauergast auf Filmfestivals und Publikumsliebling. Und dennoch:
„Tina und ich haben nach fünf Jahren Zusammenarbeit Bilanz gezogen und gesehen, dass es für zwei Geschäftsführer einfach nicht reicht im Dokumentarfilm. Man hat nur einen begrenzten Satz als Producers Fee, und da kommt man eben nicht auf mehr als 10 bis 12 Prozent Gewinn. Und den Rest kann man sich dann ausrechnen“, erklärt Kleinig nachdenklich. Kleinig ist achtsam in der Auswahl seiner Worte, mit denen er die Auflösung der gemeinsamen Firma beschreibt. Gleichsam kann er nicht verbergen, dass dieser Schritt absurd war, insbesondere nach den Erfolgen, die sie mit ihren Projekten erzielt haben. Denn noch immer läuft „10 Milliarden“ bei ARD und den Dritten; „Glaubenskrieg Milch“ und „Gut – besser – vegan?“ kamen sogar im Wiederholungsjahr unter den Top-10-Abrufen bei ARTE. „Ich habe mit der Neuen Celluloid Fabrik als Einzelunternehmer die ganzen Projekte übernommen und aus der alten Firma ausgelöst. Ich brauchte dann ein Jahr, um mich zu berappeln, und seit Anfang 2018 ist die Tina als Creative Producer erneut an Bord. Immer noch auf Augenhöhe, aber nicht mehr als Partnerin sozusagen.
“Die Neue Celluloid Fabrik erhielt zusätzlich Rückenstärkung durch die Paketförderung der Mitteldeutschen Medienförderung im letzten Jahr und vor allem ein „Grundrauschen für ein gutes Jahr, wo man ein, zwei größere Projekte an den Start schieben kann. Das ist eben das tolle bei dieser Paketförderung, dass sie einem überhaupt möglich macht, so lange an Projekten zu arbeiten“, so Kleinig. Eins der hierbei entstandenen Projekte ist die ARTE-Serie über fünf Hirtenvölker, deren Dreharbeiten mit dem Leipziger Autor und Regisseur Mark Michel bereits auf der peruanischen Puna begonnen haben. Darüber hinaus wird mit Unterstützung der MDM ein Kinodokumentarfilm entstehen. Mit der regionalen Autorin Greta Taubert entwickeln Leeb und Kleinig den Dokumentarfilm „Ahoy Utopia!“, der von einem uralten Traum der Menschheit erzählt, das Wasser zu besiedeln, welches Potenzial in der Ressource Wasser steckt und wie diese von jedem Menschen genutzt werden kann.
Immer wieder driften Kleinig und ich ab. Jede Aussage bietet Gelegenheiten, das Handeln und Misshandeln der Sender zu thematisieren. Kleinig hat das Glück, „ziemlich gut“ mit dem SWR, WDR und dem ZDF zusammenzuarbeiten. Mit dem MDR gab es 2012 das letzte gemeinsame Projekt. Seitdem seien keine thematischen Überschneidungen mehr gefunden worden, so Kleinig diplomatisch. „Ich erkenne schon, wohin die Sender wollen: regional, wenig international und eher thematisch formatierte Beiträge.
Ich wundere mich, woher Kleinig seine Motivation zieht weiterzumachen, trotz vorgehaltener Senderquoten, dauerhaft fehlender Budgets für den Dokumentarfilmplatz oder Desinteresses an internationalen Stoffen. Der Rückzug der Sender macht die Finanzierung mittlerweile zu einer Mammutaufgabe und dem „Formatierungsfeldzug“ der Sender ist kaum etwas entgegenzusetzen.
Doch Kleinig ist davon überzeugt, dass der lange kinotaugliche Dokumentarfilm nach wie vor wichtig und notwendig ist. „Wir gucken tatsächlich in die Welt. Schauen uns die Welt an und probieren, Teile dieser Welt abzubilden. Über alles kann man sich streiten, wie notwendig oder wichtig was ist, aber letztlich beschäftigen wir uns mit einem kulturellen Erbe. Wenn du dann solche Zitate kriegst wie von Maxim Reider von der Times, dass man, um den palästinensischen-israelischen Konflikt auf der menschlichen Ebene zu verstehen, diesen Film sehen muss, dann bist du eben genau davon weg, dass du NUR über den Konflikt berichtest. Und darum geht es.“
Autorin: Jana Endruschat