FILM MACHT MUT setzt da an, wo sich alles entscheidet: In der Kindheit. Text: Viola Lippmann

Film macht Mut. Stimmt! Und darum trägt ein neues Filmbildungsangebot für Kinder diesen Namen. FILM MACHT MUT setzt Perspektivenvielfalt und die Kritik an Rassismus und Antisemitismus ins Zentrum der Filmvermittlung. FILM MACHT MUT bietet Workshops und Unterrichtsmaterial für 1. bis 6. Klassen, aber auch Fortbildungen für Lehrkräfte und Pädagog*innen, die diese unterrichten. Das Angebot wurde extra für diese junge Zielgruppe konzipiert und genau das macht FILM MACHT MUT so innovativ!

Die Grundschule ist ein wichtiger Ort, um über uns, unsere Gesellschaft und über Diskriminierung zu sprechen. Denn normalerweise fängt Demokratiebildung erst in der 7. Klasse an. Viel zu spät! Auch auf die Arbeit mit dem Medium Film wird dabei normalerweise verzichtet. Doch gerade dort, wo es darum geht, einen Blick in das Leben anderer Menschen werfen zu können und Zusammenhänge zu verstehen, ist Film ein ganz wichtiges Arbeitsmittel. Denn hier fühlen wir mit anderen, gehen ein Stück mit ihnen gemeinsam, lachen und weinen zusammen und erkennen, dass wir viele Gemeinsamkeiten haben. In der Kindheit entscheidet sich alles! Hier findet die stärkste Prägung statt. Hier lohnt sich jede Art des Austauschs und jede Anstrengung dafür, denn hier entwickeln sich unsere Werte und unser Bild von der Welt.

Dieses Potenzial hat die Vision Kino gGmbH erkannt und FILM MACHT MUT entwickelt, unterstützt von der BKM (Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien), die dieses deutschlandweite Programm finanziert hat. Das Entwicklungsteam hat das Projekt aus dem Nichts erschaffen und sich über »Critical Whiteness«-Workshops und den Austausch mit Kolleg*innen mit Rassismuserfahrung immer wieder selbst überprüft, um hier ein wirkungsvolles Angebot zu machen. Genau wie alle anderen Workshopteilnehmer*innen mussten auch sie offen sein und zuhören. Und genau hier liegt unsere Verantwortung als Erwachsene, auch wir lernen dazu, nicht nur die Kinder.

In Kooperation der VISION KINO mit den SchulKinoWochen Sachsen ist FILM MACHT MUT im April 2023 in Sachsen gestartet. Die Aufmerksamkeit durch die SchulKinoWochen hat für eine rasche Verbreitung des Angebots geführt. Und der Bedarf ist groß, die geplanten 28 Workshops wurden auf 60 aufgestockt.

»Jetzt brauchen wir keine Werbung mehr machen. Jetzt ist der Moment, wo Schulen aufmerksam werden und sich melden.«

Berit Töpfer Koordination Sachsen

Um Berit Töpfer, Koordinatorin des Projektes, hat sich ein engagiertes Team gebildet. Fünf Referentinnen sind in ganz Sachsen unterwegs, um die Workshops durchzuführen und sich dabei immer wieder kritisch zu hinterfragen und Arbeitsmaterialien und Workshops stetig weiterzuentwickeln. Ein Jahr Testphase, ein Jahr positives Feedback aus den Schulen, begeisterte Kids in Klassenzimmern von Plauen bis Meerane, ein motiviertes Team von Erwachsenen, die mit dem richtigen Vibe Themen ins Klassenzimmer bringen, über die in der Schule sonst kaum gesprochen wird. Kein Frontalunterricht, keine Noten, sondern einfach zusammen einen Film schauen, dann darüber sprechen und zusammen Fragen und Antworten finden. Das ist der Weg. Das stärkt den Klassenverband, denn man lernt über die Geschichten anderer auch sich selbst besser kennen.

»Wir sind unterwegs, damit Kinder etwas lernen, und wir auch. Wir zusammen gestalten diesen Lernraum.«

Luana Brückner Referentin

FILM MACHT MUT ist ein voller Erfolg. Die Workshops funktionieren. Das erlebt man im Klassenzimmer im Austausch mit den Kindern deutlich. Jetzt kann es so richtig losgehen. Herzlichen Glückwunsch! Alles richtig gemacht. Doch weiter gefördert wird das Projekt nicht, es läuft im August 2024 einfach aus. Vom erfolgreichen Pilotprojekt aufs Abstellgleis. Was? Wie kann das sein? All die Energie, die in die Projektentwicklung geflossen ist, all das Engagement der Referentinnen in den Schulen, all die Kinder, die Fragen stellen, weil sie sich gesehen, gehört und ernst genommen fühlen. Wie passt das zusammen? Wir leben wirklich in einer ganz unglaublichen Realität.

»Das war für mich ein richtiger Schock. Ich habe fest damit gerechnet, dass es weitergeht. Ich kann mir nicht erklären, warum FILM MACHT MUT nicht weiter gefördert wird?«

Berit Töpfer Koordination Sachsen

Doch das Team um Berit Töpfer möchte das nicht zulassen. Und sucht nach alternativen Fördermöglichkeiten, um FILM MACHT MUT in Sachsen fortzuführen.

»Es ist wirklich seltsam, weil da ja auch so viel Vorarbeit reingeflossen ist. Da gibt´s richtig Strukturen und alles. Wir sind bereit!«

Luana Brückner Referentin

Alle reden ständig über Nachhaltigkeit, aber nicht über das nachhaltige Handeln in der Bildung. Dort müssen Projekte erst Strukturen aufbauen und dann entwickeln sie sich aus den Erfahrungen in den Klassenzimmern weiter, und das über Jahre. Und auch die Wirkung sieht man erst nach Jahren. In unserer ganz unglaublichen Realität sollten wir den Fokus heute auf die Nachhaltigkeit im Miteinander legen, Empathie und Austausch fördern. Die Wirtschaft kann nicht ewig weiterwachsen, soziale Gerechtigkeit und das Bewusstsein für ein gutes Miteinander hingegen schon.

Referent Togoldor Gerelsul © Daniel Scholz

Was gibt FILM MACHT MUT den Kindern?

Sie treffen auf erwachsene Referent*innen mit verschiedenen Perspektiven, mit Rassismuserfahrung. An diesen Begegnungen und dem Austausch nach dem gemeinsamen Filmerlebnis wachsen Kinder und bringen andere Gedanken mit nach Hause an den Küchen- tisch. Es gibt ihnen die Möglichkeit, zwischen all den Meinungen eine eigene Position zu finden. Sie werden aufmerksamer und verstehen Menschen mit Diskriminierungserfahrung besser.

»Das ist ja voll rassistisch, richtig kacke.«

Kommentar eines Schülers nach dem Schauen eines Films

Was gibt FILM MACHT MUT den Schulen?

Nach einem Vorgespräch mit den Lehrkräften kommt ein Team aus zwei engagierten Referent*innen für 3–4 Tage an die Schule. Nach einem kurzen Kennenlernen wird über den Film eine Diskussionsgrundlage geschaffen. Also keine ewigen Vorträge, kein Abschalten, sondern Mitmachen ist angesagt.

»Diese Arbeit macht mich weniger ohnmächtig. Der Austausch mit Kindern und Lehrern hat mir superviel gegeben.«

Luana Brückner Referentin

Kinder fühlen, ob Erwachsene wirklich da sind oder nur »ihr Ding durchziehen«. Die Referent*innen haben durch eigene Erfahrungen, die sie in ihrer Schulzeit gemacht haben, ein gutes Gespür für Kinder. Sie sehen und hören sie. Sie sind offen für deren Fragen. Die Referent*innen gehen in alle Regionen, auch wenn sie sich dort nicht willkommen fühlen, doch jedes einzelne Kind ist diesen MUT wert.

Was gibt FILM MACHT MUT der Gesellschaft?

Unsere eigene Realität ist eben nur eine von vielen. Auch als Erwachsene hören wir nicht auf zu lernen. Daher gibt es auch Workshopangebote für Erwachsene. Wie zum Beispiel: Was hat „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ mit schwarzen Kompars*innen in Stummfilmen der frühen Filmgeschichte zu tun? In dieser Fortbildung erzählt Aida Ben Achour von Zusammenhängen, bringt Daten und Fakten zu Migrationsgesellschaft und Rassismus auf den Tisch. Und auch hier wird nichts mehr verlangt, als einander zuzuhören, Fragen zu stellen und der eigenen Realität und Perspektive im besten Falle ein paar weitere hinzuzufügen.

FILM MACHT MUT ist vielleicht nur ein erster Schritt, doch damit fängt jede Reise an. Können wir es uns leisten, hier zu sparen? Ganz unglaubliche Realitäten werden zum Alltag, weil Erwachsene wegschauen und Kinder unterschätzen. Wir, die Erwachsenen, haben die Verantwortung, denn wir gestalten heute die Gesellschaft von morgen.

Text: Viola Lippmann | Fotos: Daniel Scholz

Der Text ist zuerst erschienen im Auslöser 01/2024.