Mitgliederporträt Nadine Gottmann
„Mehr Mut zu filmischer Vielfalt!“ könnte schon fast als Überschrift über dem Treffen mit der Drehbuchautorin Nadine Gottmann stehen, die ich im Pilot im Leipziger Zentrum treffe. Das Drama sei im deutschen Arthausfilm sehr dominant, das Genrekino würde oft als „reine Unterhaltung“ gesehen. Dabei ist Nadine Gottmann ganz fest davon überzeugt, dass man nicht nur mit Dramen anspruchsvolles Kino machen könne. Auch in einer fiktiven Welt sei es ohne Weiteres möglich, politische Dimensionen zu erzählen – dazu die große Chance, fantasievolle Geschichten und große Bilder auf die Leinwand zu bringen. Im Kino sind Dinge möglich, die in der Realität unwahrscheinlich sind! Und davon möchte die Neuleipzigerin in ihren Drehbüchern erzählen.
Die junge Autorin erzählt leise und bedacht von ihrer großen Begeisterung fürs Filmemachen, von ihrem Science-Fiction-Film „Wir sind die Flut“, der große mediale Aufmerksamkeit erhielt, und dass ihre Leidenschaft, Geschichten zu erzählen, trotz etlicher Hürden ungebrochen sei.
„Ich kann mich nicht erinnern, dass es nicht da war. Mit etwa 7 Jahren habe ich mein erstes ‚Buch‘ geschrieben. Meine Mutter war damals ganz stolz. Sie ist damit dann zu meiner Kindergärtnerin gegangen, um es ihr als Geschenk zu geben – ich hatte nämlich damals im Kindergarten schreiben gelernt. Die Kindergärtnerin meinte aber: ‚Das ist nicht Nadines erstes Buch!‘ Und holte aus einer Schublade ein paar zusammengetackerte Papierseiten. Das Cover war superhässlich, ich konnte noch nie malen, aber die Geschichte war gar nicht mal so schlecht.“
Nadine Gottmann wollte als Kind immer Schriftstellerin werden. Doch in der Jugend entdeckte sie das Medium Film für sich als eine perfekte Möglichkeit, ihren Geschichten eine zusätzliche visuelle Ebene hinzuzufügen, die, wie sie selber sagt, diese „viel reicher machen“.
Auf meine Frage hin, wie man seine Geschichte, sein Drehbuch-Baby loslassen und es anderen Gewerken in die Hände geben könne, lächelt Gottmann und gibt zu, dass es am Anfang ziemlich schwierig für sie war, aber sie mittlerweile gut reingewachsen sei.
„Am Anfang war ich noch bei den Drehs dabei und habe mich dann immer total aufgeregt, wenn die Dialoge nicht wortwörtlich gesagt wurden. Irgendwann hat’s aber klick gemacht, dass für mich eigentlich das Wichtige ist, dass ich mit Regisseuren zusammenarbeite, bei denen ich weiß, wir sind auf einer Wellenlänge, und da sind mir Kleinigkeiten auch egal. Wichtig ist aber, dass das große Ganze und die Message rüberkommen.“
Der Austausch mit Kreativpartnern ist für die Autorin ein respektvoller und bereichernder Prozess: Bei „Wir sind die Flut“ sei sie immer noch voller Bewunderung über das gesamte Team, das ihre Geschichte auf die Leinwand gebracht hat. Vielleicht habe sie sich die eine oder andere Szene etwas anders vorgestellt, aber bei ganz Vielem habe sie nur gedacht: „Wow! Denn ich hätte das ja alleine nie so hinbekommen.“
Ihre Filmhochschulzeit, sagt sie, habe sie abgehärtet und ihr Einfühlungsvermögen und Verständnis gelehrt: Aber vor allem auch Demut. So musste sie bei einem Kurzfilm einmal die Regie übernehmen. „Und dann merkst du, wie schwierig es eigentlich ist. Als Drehbuchautorin ist es schön, im Zimmer zu sitzen und sich alles auszumalen. Aber dann stehst du da am Set und es hat so gar nichts mehr damit zu tun, was man eigentlich wollte.“ Nadine Gottmann ist davon überzeugt, dass sie es ohne Filmhochschule nicht geschafft hätte, in der Branche Fuß zu fassen. Für sie hat sich das Studium in Babelsberg aus vielerlei Hinsicht gelohnt: Man baue nicht nur viele kreative Kontakte zu anderen Studenten sowie zur Branche auf, sondern probiere sich zudem mit Übungsfilmen aus. Am Ende wisse man einfach, dass mit einem Abschluss von der Filmhochschule auch ein gewisser Standard vorzuweisen sei. „Aber natürlich gibt es verschiedene Wege zum Filmmarkt. Für mich war’s jedenfalls der richtige.“
Es geht viel um Vertrauen in der Branche. Redakteure und Produzenten wollen das Gefühl vermittelt bekommen, dass man es schafft. Für dieses Vertrauen sind Preise hilfreich; eine Agentur, die für die Professionalisierung gut ist, und: „Wenn dein Film um 20:15 Uhr im Fernsehen lief, kannst du davon ausgehen, endlich ernstgenommen zu werden“, sagt Nadine Gottmann. „Dieser erste Schritt ist einfach der schwierigste. Und wenn du den einen Film dann gemacht hast, dann werden auch andere Stoffe von dir gelesen – es war nach zehn Jahren Fleiß und Mühe ein ziemlich neues Gefühl, dass auf einmal die Produzenten auf uns zukamen.“ Ich verstehe, dass es Herzensprojekte und Auftragsprojekte gibt. Nadine Gottmann ist aber niemand, der etwas nur für Geld macht, sondern auch Projekte absagt, wenn sie sie nicht mag.
„Ich muss mich als Autorin mit dem Stoff ein Jahr oder länger beschäftigen. Und da bringt es mir nix, wenn ich nicht daran glaube. Ich will mein Leben nicht mit schlechter Laune verbringen. Ich bin auch zeitlich eingeschränkt“, womit sie auf ihre beiden Kinder verweist. „Das Drehbuch ist schon das Fundament und das bietet auch eine gewisse Verantwortung. Wenn ich lustlos oder nur wegen des Geldes schreibe und alle bauen auf diesem Buch auf – dafür ist das für mich zu elementar.“
Und Leipzig? Leipzig war ein Experiment. Nadine Gottmann kannte Leipzig nur eine Woche lang, als sie einige Jahre zuvor bei der DOK war. Ihr Partner Sebastian Hilger gar nicht. Eine nahezu perfekte Ausgangssituation also, um nicht nach Berlin zu ziehen, wo beide bereits ihre Agentur und diverse Arbeitskontakte haben. Was bei der Entscheidungsfindung dann half, waren das Wissen und die Neugier um die „kleine aufstrebende Filmszene“, die Möglichkeit, auch ohne Bürgschaft der Eltern eine eigene Wohnung beziehen zu können, und eine Förderung (Mitteldeutsche Medienförderung), „die auch noch interessiert an den Leuten ist. Wir haben die dann angeschrieben und haben gefragt, ob wir uns mal vorstellen können – auch ohne Projekt – und die haben gesagt: ‚Na klar, kommt vorbei!‘ In Berlin wäre das unmöglich.“
In der Filmbranche manövriert man sich immer von Projekt zu Projekt, doch Nadine Gottmann hat es geschafft, das zu machen, was sie immer machen wollte: Drehbuchautorin sein. Ihr Ziel, auf der Berlinale einen Film laufen zu haben, ist in Erfüllung gegangen. „Jetzt träume ich noch von Sundance!“ Aber nach einer kleinen Pause merkt Nadine Gottmann noch ernsthaft an, dass ihr in Leipzig manchmal ein wenig der Austausch mit anderen Nachwuchsautoren fehle, da die ja doch fast alle in Berlin säßen. „Ich mache auch immer Stadtführungen für meine Autorenfreunde und freue mich über jeden neuen Kontakt von hier. Für uns und unsere Kinder ist Leipzig unser Zuhause geworden! Aber vielleicht gibt es doch noch zu wenige Projekte hier. Der Output ist nicht groß genug. Nur beeinflusst sich das auch gegenseitig“, überlegt sie und stellt für sich fest, dass sie als Autoren ja letztlich die Leute sind, die es selber in Gang setzen könnten.
Autorin: Jana Endruschat