Interview Anne Zohra Berrached

Ab wann ist ein Leben lebenswert? Und wer darf das entscheiden? – In „24 Wochen“ nimmt Regisseurin Anne Zohra Berrached sich des verschwiegenen Themas der Spätabtreibung an. Der Film, eine „Collage“ aus Realität und Fiktion, hat neben Schauspielgrößen wie Julia Jentsch und Bjarne Mädel in den Hauptrollen viele Laiendarsteller nach Berlin gebracht: Als einziger deutscher Beitrag lief „24 Wochen“ im Wettbewerb der 66. Berlinale und erhielt den Preis der Gilde Deutscher Filmkunsttheater. Wir sprachen mit der Regisseurin über diesen, ihren zweiten Film (nach „Zwei Mütter“ von 2013) auf der Berlinale, ihre neue Heimat Leipzig und ihren Wunsch nach einem größeren Vertrauen in die deutschen Regisseure. Die gebürtige Erfurterin ist Mitglied des FILMVERBAND SACHSEN.

Du wirktest sehr entspannt bei der Premiere. Wie war diese Erfahrung für dich?

Ich war so gar nicht entspannt. Man guckt gemeinsam den Film – und ich habe ihn, glaube ich, noch nie so gesehen, weil ich nur darauf gehört habe, wer lacht wann, wer weint jetzt … und hoffentlich berührt er alle. Während der Abspann läuft, wirst du nochmal aus dem Kinosaal in einen kleinen Raum hinter der Bühne geführt. Das ist eine skurrile Situation, weil du dann in einem Raum mit dem gesamten Team stehst und siehst auf einem Screen die Zuschauer – da bin ich richtig auf und ab gelaufen. Und als ich rausgegangen bin, da hat mein Herz schon ganz schön gepocht.

Du bist eine von zwei Regisseurinnen im Wettbewerb. Haben es Frauen schwieriger in der Regie?

An den Filmhochschulen sind es sagen wir mal 40% Frauen die Regie studieren. Danach wird es dann erst deutlich, dass Frauen ein Problem haben. Ich höre jetzt z.B. immer: „Du kannst ja jetzt eigentlich alles machen, mit dem Wettbewerbsbeitrag.“ Darauf antworte ich: „Ja, ich will einen Tatort machen.“ Das ist aber Krimi und das traut man einer Frau nicht richtig zu. Das wird für mich doppelt so schwer. Ich werde das schaffen, aber das wird nicht ganz einfach.

Du warst vorher in der Theaterpädagogik tätig. Wie bist du zum Film gekommen?

Ich glaube, indem ich einfach einen gemacht habe. Ich habe in London als Sozialpädagogin gearbeitet und dort habe ich schon gemerkt, dass ich etwas anderes machen will. Da dachte ich mir, ich nehme mir ein oder zwei Jahre und finde mal heraus, was ich wirklich machen will mit meinem Leben. In Berlin habe ich am Theater angefangen als Regieassistentin zu arbeiten. Und irgendwie hat mich mein Nachbar interessiert, ein Libanese, der in seiner Freizeit als Clown auftritt, und jemand meinte, wie wär‘s, wenn du versuchst, das als Film umzusetzen? Und dann habe ich einfach mal so einen kleinen Dokumentarfilm gemacht.

Ohne Filmerfahrung zu haben?

Völlig ohne. Regieführen habe ich das noch nicht genannt. Ich wollte dieses Thema irgendwie einfangen und dafür hatte sich das Medium Film geeignet. Ich habe ihn dann bei den Filmhochschulen eingeschickt und wurde genommen. Der WDR hat den Film gekauft und zack, war ich da drin in der Nummer.

Das hört sich sehr einfach an, wenn du das so schilderst.

Es war für mich tatsächlich nicht ganz so schwer wie für andere. Ich habe bemerkt, dass meine Eigenschaften sich für den Beruf eignen. Dafür braucht es vor allem Unmengen an Kraft und auch Zielstrebigkeit und Kreativität. Du musst außerdem die Fähigkeit haben, ein Team zu leiten. Du bist immer mit vielen Leuten in Kontakt und wenn man ehrlich ist, gibt die Regie nur die Richtung vor. Die anderen Teammitglieder sind die Spezialisten. Damit du dir ein gut funktionierendes Team zusammenstellen kannst, musst du die Eigenschaft besitzen, Menschen gut lesen zu können, denn auf das Team kommt es letztlich an.

„Zwei Mütter“ hast du explizit als „dokumentarischen Spielfilm“ bezeichnet. Würdest du „24 Wochen“ auch als solchen bezeichnen?

Nein. Es gibt zwar Passagen im Film, die einen sehr dokumentarischen Ansatz haben, aber als mehr würde ich das nicht bezeichnen. „Zwei Mütter“ war wirklich ein dokumentarischer Spielfilm, da es kein Drehbuch gab, lediglich ein Skelett an ungefähren Szenen und überhaupt keinen Dialog in der Buchvorlage. Alles wurde improvisiert. Für „24 Wochen“ gab es ein Drehbuch, an dem anderthalb Jahre geschrieben wurde.

Ist das allgemein dein Stil, dem du auch weiterhin treu bleiben willst?

Kommt immer auf das Thema an. Ich weiß nur, dass ich das gut kann und ich auch unheimlich gerne mit Laien arbeite. Aber es kann auch sein, dass ich mal komplett szenisch drehe oder einen reinen Dokumentarfilm mache.

Julia Jentsch, die Mutter, ist in ihrer Rolle eine Komikerin. Wieso war dir das wichtig?

Weil wir in dem Film Gegenpole brauchten. Der Film wird dramatisch, dunkel und unangenehm für den Zuschauer. Deshalb musste man immer wieder kleine Punkte schaffen, um Licht rein zu bringen. Ich hatte mir überlegt: Was ist das absolute Gegenteil zu diesem schweren Drama? – Wenn jemand lachen muss. Und noch schwerer, als selber zu lachen, ist andere Leute zum Lachen zu bringen. Und dann war klar: sie wird Kabarettistin.

War es schwieriger Witze zu schreiben?

Ja, wir haben auch ganz schnell festgestellt, dass das nichts mit Drehbuchschreiben zu tun hat und uns bei dem Autor Ralf Husmann und der Kabarettistin Lisa Feller Hilfe gesucht. Husmann hat „Stromberg“ und, unter anderem, „Ladykracher“ geschrieben.

Ist deine Herangehensweise ans Filmemachen spielerisch?

Ich will Dinge ausprobieren. Der Film soll Realität und Fiktion ineinander verschmelzen lassen. Er ist eine Collage. Alles ist erlaubt. Man will letztendlich vor allem ausprobieren, wie es bei Leuten ankommt. Mein Cutter liest zum Beispiel alle Kritiken. Ich habe noch nicht eine einzige gelesen. Er hat gesagt, er will alles ganz genau mit mir durchgehen, wie gewisse Dinge interpretiert werden. Das ist spannend und man lernt dadurch. Ich habe noch nie einen Film gemacht, der eine größere Aufmerksamkeit bekommen hat als derzeit „24 Wochen“. Unser Weltvertrieb hat den Film in den letzten fünf Tagen bereits in 13 Länder verkauft und ich hätte nie gedacht, dass das so einschlägt. Unser Ziel war es, einer großen, breiten Menge dieses Thema zugänglich zu machen. Und das haben wir hiermit erreicht.

Der Film wurde u.a. in Leipzig gedreht. Was reizt dich daran, in Sachsen zu drehen?

Ich bin ja nun aus dem Osten. Ich komme aus Erfurt und wollte im Osten drehen. Ich weiß, wie die Leute ticken. Und dann kam Friede Clausz aus Halle als Kameramann noch dazu. Wir sind einfach alle nach Leipzig gezogen, wollten da drehen und dann haben wir das Geld von der MDM (Mitteldeutsche Medienförderung, Anm. d. Red.) bekommen. Die MFG (Filmförderung Baden-Württemberg, Anm. d. Red.) hat uns abgelehnt.

Sechs Tage vor der Berlinale ist der Film fertig geworden. Die Postproduktion fand in Stuttgart statt und da habe ich auch noch eine Wohnung. Anfang März löse ich das alles auf und ziehe nach Leipzig.

Wie sehen deine zukünftigen Pläne aus?

Ich habe schon ein neues Projekt, das ich mit Roman Paul von Razor Film Produktion in Berlin mache. Es geht dabei um Terror im weitesten Sinne und handelt von einer sehr bekannten Person. Es spielt in den 90er Jahren in Bochum, Miami und Beirut. Aber ich will auf jeden Fall demnächst in Leipzig drehen. Ich habe auch eine Idee für einen Stoff, den ich wieder bei der MDM einreichen werde und ich mag Dana Messerschmidt (MDM Landesbeauftragte für Sachsen-Anhalt, Anm. d. Red.) so gerne. Mit ihr kann ich mir vorstellen noch tausend Filme zu machen. Es hätte uns nichts Besseres passieren können, als Dana kennenzulernen.

Du hast bei der Premiere ein Plädoyer gehalten, für mehr Freiheit beim Filmemachen, mehr Art-House-Filme und mehr Mut bei den Redakteuren. War dir das ein Anliegen nach der Debatte im Vorfeld der Berlinale, wo denn der deutsche Film sei?

Man muss es ganz genau sagen: Der deutsche Film ist dieses Jahr nicht im Wettbewerb auf der Berlinale und der einzige deutsche Film, der nun im Wettbewerb vertreten ist, wurde von uns mit ganz wenig Geld gemacht. Ich halte es für meine Pflicht dazu etwas zu sagen. Niemand darf auf die Idee kommen, dass wenig Budget dazu führt, dass man in den Wettbewerb der Berlinale kommt. Ich hatte das Glück, dass ich einen unheimlich tollen Redakteur und eine Filmförderung habe, die an mich glauben und ihr bestes gegeben haben. Man hat mich einfach mal machen lassen, man hat mir Freiheit gegeben.

Was wäre dein Wunsch für die Zukunft?

Dass ich weiterhin mit so viel Freiheit arbeiten kann, wie ich es hier tun konnte. Dass man mir die Möglichkeit gibt, meine Handschrift weiter zu entwickeln. Dass man mir weiterhin so viel Vertrauen schenkt. Dass ich individuell, kompromisslos und direkt erzähle, geht nur wenn mich alle individuell, kompromisslos, direkt erzählen lassen, so wie man mich bei „24 Wochen“ gelassen hat.

Anne Zohra Berrached

arbeitete zunächst als Sozial- und Theaterpädagogin in London und Berlin. 2009 drehte sie ihren ersten Kurzfilm „Der Pausenclown“ und begann daraufhin ihr Regiestudium an der Filmakademie Baden-Württemberg. Ihr erster abendfüllender Spielfilm „Zwei Mütter“ lief 2013 auf der Berlinale (Perspektive Deutsches Kino) und gewann den DFJW-Preis Dialogue en Perspective des Deutsch-Französischen Jugendwerks. Ihr zweiter Spielfilm „24 Wochen“, produziert von zero one film in Berlin, wurde u.a. in Leipzig gedreht und kommt mit dem Verleiher Neue Visionen demnächst ins Kino.

Das Interview wurde von Sabine Kues geführt und ist im AUSLÖSER 1/2016 erschienen.