30 Jahre Filmverband Sachsen

Manchmal werden wir gefragt, was das eigentlich ist, der Filmverband Sachsen und worum sich der Verband so kümmert. Eine Produzentenvertretung? Nein, viel mehr als das. Ein Traditionshüter für das Filmschaffen von früher? Ja, aber viel mehr. Vergebt ihr Förderungen oder macht ihr ein Festival oder Kino und so was? Nicht direkt, aber ja, um‘s Filme fördern kümmern wir uns genauso wie wir Festivals und Vorführprogramme unterstützen. Eigentlich ist alles „Angelegenheit“ des Filmverbands Sachsen was zur Filmkultur in Sachsen gehört. Und wer ist da so Mitglied? Filmemacherinnen und Filmemacher, andere Filmorganisationen, Festivals, Kinos, Produktions- und andere Filmunternehmen, Schauspieler, Regisseurinnen, Kameraleute, alte Hasen und Nachwuchs, Profis und Amateure, Hochschulen und Studentinnen. Über 150 Mitglieder hat der Verband derzeit, Tendenz steigend. Und das funktioniert? Ganz prima sogar. Der Filmverband ist als Dachverband für den Filmbereich als Landeskulturverband institutionell vom Freistaat Sachsen und der Landeshauptstadt Dresden gefördert, hat eine professionelle Geschäftsstelle. Er ist engagierte und geschätzte Anlaufstelle für die Landespolitik und -verwaltung, kann sich aktiv in film- und medienpolitische Entwicklungen einbringen, hat einen Sitz im MDR-Rundfunkrat, schickt Vertreterinnen und Vertreter in verschiedene Auswahlgremien und Jurys und hat erfolgreich Programme zum Erhalt des audiovisuellen Erbes und zur Förderung aktiver Filmkultur überall in Sachsen entwickelt.

Wenn wir das aufgezählt haben, schauen wir nicht selten in erstaunte Gesichter und werden schließlich auch mal gefragt, wie wir das hinbekommen haben. Jetzt stellen wir fest, dass das inzwischen eine dreißig Jahre lange Geschichte ist.

Das Jahr 1990 war ein Jahr des Endes und des Anfangs. Es war ein wildes Jahr, in dem sich alte Gewißheiten auflösten und neue Erwartungen geboren wurden. Es gab Westgeld für alle und die Deutsche Einheit. Für die einen schien alles möglich, für andere brach mit den Volkseigenen Betrieben auch die Lebensgrundlage weg. Auf dem Zerlegetisch der Treuhand-Gesellschaft fanden sich bald nicht nur Schwermaschinenkombinate sondern zum Beispiel auch der bis dato größte Animationsfilmproduzent Deutschlands wieder. 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatte das in Dresden beheimatete DEFA-Studio für Trickfilme, das seit 1955 vor allem fürs Kino und das DDR-Fernsehen produziert hatte. Im Archiv lagen die Hinterlassenschaften von 950 Eigenproduktionen. Was sollte nun damit werden, da sich plötzlich nicht nur schwere Maschinen sondern auch die Trickfilme aus Dresden in West-Mark rechnen mussten und ihrer Kundschaft verlustig gingen? Einige DEFA-Leute wollten nicht nur auf die Antwort warten, sondern sie selbst mit geben und aktiv werden. Am 13. Dezember 1990 kamen sie in der Studio-Kantine zusammen, um dafür einen neuen Verband zu gründen. Ralf Kukula wurde Gründungsvorsitzender und erinnert sich.

„Dass Sachsen einen eigenen Filmverband bekommen hat, hat vor allem mit der Existenz des DEFA-Trickfilm-Studios zu tun. Es gab eine Sektion für Animations- und Trickfilm im DDR-Filmverband, wo die meisten Mitglieder in Dresden angesiedelt waren. Und es war eigentlich klar, dass es im Zuge der Auflösung der DDR-Strukturen etwas Neues geben musste. Wir wollten also die vorhandenen Strukturen an die neuen Gegebenheiten anpassen. Da war der föderale Hintergrund für uns auch ein ganz wichtiges Argument. Hat sich ja im Nachhinein gezeigt, dass das ein guter Schritt war. Die Mitglieder im neuen sächsischen Verband waren in erster Linie Mitarbeiter des DEFA-Studios für Trickfilme. Wir haben uns im Club Müllerbrunnen in Dresden-Plauen getroffen und die Inhalte waren damals wirklich getrieben von der Sorge, wie können wir weiterarbeiten? Können wir in Zukunft noch vom Animationsfilm leben? In welchen Strukturen können wir das? Erst später, mit der Etablierung des MDR in Dresden, in Sachsen, ist die Basis der Filmszene breiter geworden, sind viel mehr Leute aus dem Bereich Realfilm, insbesondere Dokumentarfilm, journalistische Formate usw. dazugekommen und damit änderte sich die Klientel und die Mitgliederstruktur des Filmverbandes.“

Die Hoffnungen auf eine Rettung des DEFA-Trickfilmstudios haben sich nicht erfüllt. Der 1991 gegründete Mitteldeutsche Rundfunk hatte die Immobilie in Dresden übernommen und noch einige Jahre als einen seiner Standorte weiterbetrieben. Einige Produktionen konnte das DEFA-Studio noch mit öffentlichem Geld zu Ende führen. Aber 1992 war dann endgültig Schluss. Trotzdem war das Engagement der Filmverbandsgründerinnen und -gründer durchaus erfolgreich, wenigstens was den kulturellen und künstlerischen Nachlass des Dresdner DEFA-Studios betrifft. Im Mai 1993 führt der Filmverband das I. Internationale Symposium zum deutschen Animationsfilm durch auf dem auch die Idee zu einem eigenständigen Träger für den Erhalt und die Pflege des DEFA-Erbes geboren wird. Nur wenige Monate später, im November, wird das DIAF, das Deutsche Institut für Animationsfilm gegründet. Höchste Zeit, denn der neue Eigentümer des Studiogeländes hat wenig Interesse an der Hinterlassenschaft der Trickfilmer.

Ralf Kukula: „Die Gründung des DIAF und die Rettung der Bestände, das geschah zeitlich ziemlich gleich. Es musste holterdiepolter gehen. Wir hatten die Unterstützung des SMWK (Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, A.d.R.) und die Bestände, die noch zu retten waren, in die Technischen Sammlungen (Museum der Stadt Dresden, A.d.R.) gefahren. In den ersten Jahren des Bestehens des DIAF wurden diese Bestände gesichtet und restauriert. Es wurden Ausstellungen und Publikationen gemacht.“

Diese „Ausgründung“ stellte sich auch für den Filmverband als sinnvoll heraus. Ohne die zentrale Fokussierung auf das DEFA-Thema konnte er eine breitere Mitgliedschaft ansprechen und sich auch anderen Aufgaben zuwenden. Von Anfang an waren nicht nur die Erwartungen der sich inzwischen zart entwickelnden Branche sondern auch der politischen Seite und des SMWK groß. Bald nach seiner Gründung hatte der Verband von dort die Anforderung erhalten, ein Konzept für eine Filmförderung durch den Freistaat zu entwerfen. Bereits 1992 war es fertig und wurde Grundlage für die Förderpraxis der folgenden Jahre. Aus der gingen, wiederum unter Mitwirkung des Filmverbands, einige Jahre später auch die kulturelle Filmförderung über die Kulturstiftung Sachsen und die wirtschaftliche über die Mitteldeutsche Medienförderung hervor.

Ohne eine enge Vernetzung der meisten Beteiligten, die ihre Wurzeln im DEFA-Studio und anderen Dresdner Kultureinrichtungen hatten, wäre das kaum möglich gewesen. Alles beruhte auf ehrenamtlichem Engagement und einer ABM-Stelle. Die „Geschäftsstelle“ war im Büro von Ralf Kukulas ebenfalls neu gegründeter Unternehmung Balance Film GmbH. Erst sechs Jahre nach der Gründung, als der Filmverband sich eine Stellung als „Landeskulturverband“ erarbeitet hatte und damit auch eine institutionelle, also dauerhafte Förderung bekam, konnte ein hauptamtlicher Geschäftsführer angestellt werden. Die Zahl der Mitglieder hatte sich auf über fünfzig verdoppelt. Die Arbeit des Verbandes verstetigte sich. Der AUSLÖSER, 1992 als „Informationsblatt für die Mitglieder“ gegründet, entwickelte sich zu einem richtigen Magazin, das seine Leserschaft auch jenseits der Mitgliedschaft und der sächsischen Landesgrenzen fand. Die Chronik des Verbands führt Tagungen zur Situation der Filmbranche in Sachsen und ein stetiges Engagement für die sächsischen Förderfilme auf.

So sind der Filmverband und die Filmförderung, um deren Ausbau er jahrelang mit gekämpft hat, Ende der 1990er Jahre ganz gut aufgestellt. Trotzdem sieht sich ein neuer Vorstand mit Yury Winterberg als Vorsitzendem zu Beginn der Zweitausender Jahre bald neuen Herausforderungen gegenüber. Nach Jahren des erfolgreichen Aufbaus geht es zum ersten Mal darum, bereits Erreichtes zu erhalten. Nachdem vergleichbares schon mal für den Doppelhaushalt 1999/2000 vorgesehen war, plant die Staatsregierung für 2003/2004, der Haushalt nach der verheerenden Jahrhundertflut an Elbe und Mulde, wieder Mittelkürzungen von 50 Prozent. Damit drohen der freien Kultur und dem Filmbereich drastische Folgen.

Yury Winterberg: „Die größte Herausforderung, soweit ich mich erinnere, war eigentlich die Geschichte mit der Filmförderung. Es gab Haushaltssperre, der Freistaat musste sparen und deshalb wurde die auf Null gefahren. Allen war klar, wenn in einem Landeshaushalt schon mal was auf Null runtergefahren ist, da es gibt keine Chance, dass das jemals wieder hochkommt.“

Letztlich konnte der dauerhafte Kahlschlag abgewendet werden. Im Ergebnis intensiver Bemühungen der Landeskulturverbände um eine langfristig sichere Kulturförderung wurde diese einschließlich der kulturellen Filmförderung ab 2005 der Kulturstiftung Sachsen übertragen. „Das war ein Riesenerfolg.“, erinnert sich Yury. Bis heute ist der Filmverband im Fachbeirat für den Filmbereich vertreten.

Vor allem getragen durch das stetige Engagement der hauptamtlichen Verbandsmitarbeiter gelingt es dem Filmverband immer besser, die Förderfilme auch breit zu präsentieren. Nicht nur zuhause, wo eigene DVD-Editionen, Veranstaltungsreihen und Festivalpräsentationen dafür sorgen. Sächsische Förderfilme finden ihren Weg in europäische Nachbarländer und sogar bis nach China. Im Gegenzug sorgen die „Nordlichter“, die zehn Jahre lang stattfindenden skandinavischen Filmtage, für frischen filmkulturellen Wind in der sächsischen Landeshauptstadt. Die Mitgliederzahl des Verbands wächst langsam an die 100 heran. Aber noch immer kommen die allermeisten davon aus Dresden. Vor allem die Filmemacher und -produzenten, deren Szene sich mittlerweile besonders in Leipzig entwickelt hat, wünschen sich zunehmend eine stärkere Vertretung.

Für den Verband, der sich jahrelang auf die kulturelle Filmarbeit konzentriert hatte, war es mit Anfang der 2010er Jahre wieder Zeit sich neu auszurichten. Eine Aufgabe, die nun Katrin Thomas als Vorsitzende mit einem neuen Vorstand übernahm. Nicht ohne etwas Bedenkzeit.

„Ich war schon zwei Jahre im Vorstand tätig, als Till Grahl als Stellvertreter und ich als Vorsitzende, dem Verband neuen Schwung und eine neue Perspektive gegeben haben. Nicht nur, dass wir die Struktur verändert und eine neue Satzung angeschoben haben, wir haben auch neue innovative Programme aufgesetzt. Ziel war es ein offenes Netzwerk aufzubauen und vor allem Produzierende und Filmschaffende sachsenweit zu vernetzten, vorallem auch die Szene in Leipzig anzusprechen. Wir haben im Filmbereich die Evaluierung der Kultur- und Kreativszene begleitet, deren Ergebnisse zum Teil in die Entwicklung von Kreatives Sachsen mit eingegangen sind. Es ging uns um mehr Sichtbarkeit und auch darum, wirtschaftlich arbeitende Kolleginnen und Kollegen, also vor allem auch Filmschaffende mit Blick auf den MDR stärker einzubeziehen.“

Dafür müssen auch schwierige Entscheidungen getroffen und durchgefochten werden. Nach über fünfzehn Jahren übernimmt der Vorstand 2011 wieder selbst die aktive Geschäftsführung. Mit Christian Zimmermann als neuem Leiter der Geschäftsstelle und bald auch einigen neuen Mitarbeiterinnen wird in den kommenden Jahren diese Entwicklung konsequent und ideenreich fortgesetzt. Zum bereits 2008 etablierten FILMSOMMER kommt 2014 der FILMWINTER hinzu. Hat sich der erste in Leipzig mittlerweile zur größten und wichtigsten Netzwerkveranstaltung von Filmkultur und Filmbranche in Sachsen entwickelt, setzt der zweite mit Erfolg auf jährlich wechselnde Themenschwerpunkte. 2014 gibt sich der Verband, nun schon unter dem Vorsitz von Sandra Strauß eine neue Satzung. Das verstärkte Engagement für eine Verbesserung auch der Bedingungen für die Kolleginnen und Kollegen, die als unternehmerisch agierende Produzenten mit die Grundlage für eine lebendige und vielfältige Filmkultur legen, führt nach und nach zu mehr Sichtbarkeit und mehr Einflussmöglichkeiten des sächsischen Filmverbands im Land aber auch darüber hinaus. Entsprechend hat sich auch die Mitgliedschaft verändert. Sie ist jünger und vielfältiger geworden und breiter über ganz Sachsen verteilt.

Vieles von dem, was der Filmverband Sachsen in den zurückliegenden dreißig Jahren gemacht und geschafft hat, findet hier keinen Platz. Dafür sei der Historien-Zeitstrahl auf der Internetpräsenz empfohlen. Zwei Programme sollen aber noch erwähnt werden. Von 2015 bis 2018 hat der Filmverband eine Pilotphase zur Entwicklung eines Landesprogramms zum Erhalt des audiovisuellen Erbes in Sachsen durchgeführt, die schließlich in ein entsprechendes Konzept mündete, auf dessen Grundlage der Sächsische Landtag die Mittel für dieses Programm fest eingeplant hat. Seit 2019 wird es von der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek als Träger durchgeführt. Einige Hundert Medien aus der Vielfalt des sächsischen Film- und AV-Erbes konnten bislang digitalisiert und erschlossen werden. Ebenfalls seit 2019 betreibt der Filmverband zudem ein Programm zur Stärkung der Filmkultur in den ländlichen Räumen in Sachsen. Wir wollen gelebte Filmkultur den Menschen überall im Land wieder zugänglich machen. Vor allem aber wollen wir sie dafür begeistern, selbst aktiv zu werden und die Kraft von Kultur erfahrbar zu machen. Auch hierfür kämpfen wir gerade wieder um fortgesetzte Finanzierung, weil uns ein solches Programm, das den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt, nötiger als sonst erscheint.

Die Herausforderungen werden nicht kleiner. Aber wir halten es weiter mit unserem Gründungs-Vorsitzenden Ralf Kukula: „Was wir mit dem Filmverband geschafft haben ist, dass wir über die Berufsgruppen hinweg, auch zwischen Freelancern und Produzenten ein Sammelbecken geschafft haben, wo wir versucht haben und auch heute noch versuchen, die Gemeinsamkeiten zu stärken und zu betonen und nicht das Trennende. Und das hat auch die Erfahrung gezeigt, dass, wenn wir unsere Interessen abstimmen und nach außen hin bündeln, auch mit einer Stimme versuchen zu sprechen, dass wir politisch mit mehr Gewicht wahrgenommen werden.“

Eine Textfassung des Artikels ist im Auslöser 01/2021 erschienen.